"Empörung im Stall" von Alfred Polgar

23. Dez. 2007, 18:03 Else

"Empörung im Stall" von Alfred Polgar

Aus „Im Lauf der Zeit“, von Alfred Polgar Empörung im Stall Im allgemeinen – sagen die praktischen Metzger – dürfe gelten, daß Schlachtvieh keine Todesangst empfinde. Besonders für Hornvieh, das als dumpf, dumm, dämlich bekannt ist, treffe dies zu. Wehen des Todesfittichs spürt es nicht, und Schatten des Fittichs kann es nicht sehen, weil der gütige Mensch dem Ochsen die Augen verbindet, ehe er ihm die Keule auf das Stirnblatt schmettert. Also Schlachtvieh hat keine Ahnung, was kommt. Zu Kriegsbeginn ist der Beweis im großen Stil erbracht worden. Da sah man es fröhlich brüllend durch die Straßen ziehen und die Stirnen, der Keule verfallen, hoch tragen. Es leben aber auch Metzger, die behaupten, dann und wann geschehe es, daß das dumme Vieh in articulo mortis sich benehme, als empfinde es Todesangst. Die meisten Ochsen betreten den Platz, wo an ihnen die entscheidende erste Handlung in der Reihe jener Handlungen vollzogen wird, die sie aus Lebewesen in einen Komplex von Eßportionen verwandeln, ruhigen Herzens, ohne Zeichen von Gemütsbewegung, und sterben so eines schönen, raschen Todes. Bei einem oder dem andern Stück Vieh jedoch trifft solche Erfahrung nicht zu: es gebärdet sich, als hätte es Beklemmungen, Ahnungen, Vorgefühle. In der Stadt B hat sich jüngst, eines Winternachmittags, derartiges ereignet. Ich las darüber im Illustrierten Blatt, das auch von der Endphase des Vorfalls eine photographische Aufnahme zeigte. Es geschah in jener Stadt, daß ein Ochs sich vom Halfter, an den er gebunden war, losriß, mit den Hörnern gegen das hölzerne Stalltor, das hiebei aufsprang, anrannte und im Galopp durch die Straßen lief. Die Menschen sprangen zur Seite und brüllten wie die Ochse, die Wachleute hoben die Hand und ließen sie resigniert wieder sinken, in den Gasthäusern stürzten die Leute kauend, die Gabel in der Faust, ans Fenster, und ein zufällig des Wegs schlendernder Zeitungsmann sah Feuer aus den Nüstern des rasenden Tieres sprühen. Ein paar Kilometer lief der Ochs, dann verschwand er im Wald am Stadtsaum. Erst zwei Tage später fand man ihn dort „gänzlich erschöpft“, wie der Bericht meldet, „halb erfroren und sehr abgemagert“. Er lag auf der Seite, geschlossenen Auges und ließ mit sich geschehen, was die andern wollten. Um die Vorderbeine kam ein Seil, um die Hinterbeine kam ein Seil; so schleiften sie ihn aus seinem Waldversteck ins Freie. Dann gruppierten sie sich um den Gefangenen, ein Mann hielt straff das rechte Seil, einer straff das linke, einer, ein kurzer Kerl mit Schirmkappe, dickem Schnurrbart und Arbeitsschürze, setzte dem Hingestreckten den Stiefel auf die Flanke, und dann kam der Photograph und knipste für das Illustrierte Blatt. Wahrscheinlich haben sie ihn hernach mit zweifachem Vergnügen geschlachtet, im Schwung des Beils nicht nur Arbeitspflicht erfüllend, sondern auch Rachlust befriedigend. Ein genauer Kenner des Ochsen, von dessen Tat hier erzählt wird, behauptet, was das brave Tier zu ihr veranlasst hätte, sei nicht Todesangst gewesen, sondern schlechtweg Drang nach Freiheit. Zuweilen nämlich komme es vor, daß auch diszipliniertes Vieh Enge und Ordnung des Stalls, in den es gesperrt ist, unerträglich drückend empfindet und bei gegebener Gelegenheit, wie die deutsche Sprachwendung so schön und anschaulich sagt, „das Weite sucht“. Wie hoch der entlaufene Ochs die Freiheit wertete, beweise, daß er, obwohl „gänzlich erschöpft, halb erfroren und sehr abgemagert“, nicht von selbst in den Stall zurükgekommen war. Das heißt: er schätzte die Freiheit höher ein als Wärme und Nahrung. Ja – behauptet der erwähnte Kenner weiter – es bestehe begründeter Verdacht, die Flucht des Tieres wäre keine vom Augenblick geborene Affekthandlung gewesen, sondern Folge eines Denkprozesses, der in seinem dicken Schädel stattgefunden haben mag. Nicht abzusehen, was alles passieren kann, wenn die Ochsen auf Gedanken kommen! ……….. Unbegrenzte Macht verliert ihr Amoralisches auch dann nicht, wenn sie höchst moralisch ausgeübt wird. Kommt eine unreine Sache in reine Hände, so kann das nur zur Folge haben, daß die Hände schmutzig werden, nicht die, daß die Sache sauberer wird.

Antworten: 1

25. Dez. 2007, 07:35 iderfdes

"Empörung im Stall" von Alfred Polgar

Ja, tolle Geschichte, aber fährst du jetzt zum Pinz auf Urlaub oder nicht?

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