Der Gott des Leidens?

21. Mai 2008, 09:44 Else

Der Gott des Leidens?

Der Gott des Leidens? GASTKOMMENTAR VON PETER SINGER (Die Presse) Wenn wir auf dem Glauben an göttliche Schöpfung beharren, sind wir gezwungen, zuzugeben, dass dieser Gott, der die Welt erschuf, nicht allmächtig und nicht vollkommen gut sein kann. Leben wir in einer Welt, die von einem allmächtigen, allwissenden und vollkommen guten Gott erschaffen wurde? Die Christen glauben das. Doch wir werden täglich mit einem triftigen Grund konfrontiert, daran zu zweifeln: Auf dieser Welt herrscht nämlich ein immenses Maß an Schmerz und Leiden. Wenn Gott allwissend ist, weiß er auch um dieses Leid. Wenn er allmächtig ist, hätte er eine Welt mit weniger Schmerz und Leid erschaffen können – was er wohl auch getan hätte, wenn er vollkommen gut wäre. Christen antworten darauf normalerweise, dass uns Gott den freien Willen geschenkt hat und daher für die bösen Taten des Menschen nicht verantwortlich ist. Das allerdings erklärt noch nicht das Leiden derer, die bei Überschwemmungen ertrinken, in Waldbränden, die durch Blitzschlag ausgelöst wurden, bei lebendigem Leib verbrennen, oder derjenigen, die während einer Dürreperiode verhungern oder verdursten. Erbsünde: Eine abstoßende Vorstellung Manchmal versuchen Christen, dieses Leiden zu erklären, indem sie darauf hinweisen, dass alle Menschen Sünder sind und daher ihr Schicksal verdienen, selbst wenn es sich um ein entsetzliches Schicksal handelt. Aber ebenso wie Erwachsene leiden und sterben auch Babys und Kleinkinder bei Naturkatastrophen, und es erscheint ausgeschlossen, dass sie Leid und Tod verdienen. Darauf antworten manche Christen, dass wir alle mit der Erbsünde behaftet sind, seit Eva entgegen Gottes Anweisung von den Früchten am Baum der Erkenntnis aß. Das ist eine dreifach abstoßende Vorstellung, denn sie impliziert, dass Erkenntnis schlecht ist, das es die größte aller Sünden ist, sich dem Willen Gottes zu widersetzen und dass alle Kinder die Sünden ihrer Vorfahren erben und dafür gerechterweise auch noch bestraft werden können. Aber selbst wenn wir alle diese Theorien akzeptieren, bleibt das eigentliche Problem ungelöst. Denn auch Tiere leiden unter Überschwemmungen, Bränden und Dürren, und da sie nicht von Adam und Eva abstammen, können sie auch nicht mit der Erbsünde behaftet sein. Früher, als man die Theorie der Erbsünde noch ernster nahm, als dies heute im Allgemeinen der Fall ist, stellte das Leiden der Tiere ein besonders schwieriges Problem für gottesfürchtige Christen dar. Der französische Philosoph René Descartes löste das Problem im 17. Jahrhundert sehr drastisch, indem er Tieren einfach ihre Leidensfähigkeit absprach. Tiere, so argumentierte Descartes, wären nichts weiter als ausgeklügelte Maschinen, deren Schreie und Kämpfe nicht als Zeichen für Schmerz gesehen werden dürfen, ebenso wenig wie wir das Klingeln des Weckers nicht als Zeichen dafür werten, dass die Uhr über ein Bewusstsein verfügt. Menschen, die mit einem Hund oder einer Katze leben, werden dieser Theorie wahrscheinlich nicht allzu viel abgewinnen können. Warum lässt Gott das Leiden zu? Letzten Monat nahm ich an der Biola University, einem christlichen College in Südkalifornien, mit dem konservativen Kommentator Dinesh D'Souza an einer Diskussion über die Existenz Gottes teil. D'Souza widmete sich in den letzten Monaten gezielt der Debatte mit prominenten Atheisten, aber auch er hatte alle Mühe, eine überzeugende Antwort auf das oben angeführte Problem zu finden. Zuerst argumentierte er folgendermaßen: Weil Menschen im Himmel ewig leben können, hat das Leiden auf dieser Welt weniger Bedeutung, als dies der Fall wäre, wenn wir nur ein einziges Leben auf Erden hätten. Damit ist allerdings noch immer nicht erklärt, warum ein allmächtiger und vollkommen guter Gott das Leiden überhaupt zulässt. So unbedeutend dieses Leiden aus der Perspektive der Ewigkeit erscheinen möge, ginge es der Welt ohne dieses Leiden – oder zumindest großer Teile davon – wohl besser. (Manche meinen, dass wir ein gewisses Maß an Leiden brauchen, um es schätzen zu können, wenn wir glücklich sind. Das kann schon sein, aber wir brauchen gewiss nicht so viel Leid, wie wir haben.) Winzig kleine Intelligenz des Menschen Als nächstes argumentierte D'Souza, dass es uns nicht zukommt, darüber zu klagen, dass unser Leben nicht perfekt ist, weil wir dieses Leben ja von Gott geschenkt bekamen. Er brachte das Beispiel eines Kindes, dem bei seiner Geburt eine Gliedmaße fehlt. Wenn das Leben selbst ein Geschenk ist, so D'Souza, wird uns kein Unrecht getan, wenn wir weniger bekommen, als wir vielleicht möchten. Ich wandte ein, dass wir Mütter verurteilen, die ihren Babys durch den Konsum von Alkohol oder Kokain während der Schwangerschaft schaden. Der Meinung D'Souzas folgend haben sie aber in der Schwangerschaft nichts falsch gemacht, da sie ihren Babys ja das Leben schenkten. Schließlich griff D'Souza wie viele Christen, wenn sie unter Druck geraten, auf die Behauptung zurück, dass wir nicht erwarten dürfen, Gottes Gründe für die Erschaffung der Welt, wie sie ist, zu verstehen. Das wäre so, als wollte eine Ameise unsere Entscheidungen verstehen, denn so winzig klein ist unsere Intelligenz im Vergleich zur unendlichen Weisheit Gottes. (Diese Antwort erscheint in poetischerer Form auch im Buch Hiob.) Aber wenn wir uns auf diese Art und Weise von unserem Denkvermögen verabschieden, können wir überhaupt alles glauben. Böse oder ein Stümper Außerdem ist die Behauptung, wonach unsere Intelligenz im Vergleich zu Gottes unendlicher Weisheit völlig unbedeutend wäre, eine Vorbedingung für den fraglichen Diskussionspunkt – dass es einen allmächtigen, allwissenden und vollkommen guten Gott gibt. Die Beweislage vor unseren eigenen Augen lässt es allerdings plausibler erscheinen, dass die Welt nicht von irgendeinem Gott erschaffen wurde. Wenn wir jedoch auf dem Glauben an göttliche Schöpfung beharren, sind wir gezwungen, zuzugeben, dass dieser Gott, der die Welt erschuf, nicht allmächtig und nicht vollkommen gut sein kann. Er muss entweder böse oder ein Stümper sein. Peter Singer istProfessor für Bioethik an der Universität Princeton und Autor zahlreicher Bücher wie „Die Befreiung der Tiere“, „Praktische Ethik“ und jüngst „The Ethics of What We Eat“. © Project Syndicate, 2008. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2008) http://diepresse.com:80/home/meinung/gastkommentar/384626/index.do

Antworten: 3

21. Mai 2008, 09:51 helmar

Der Gott des Leidens?

Liebe Else! Jetzt wirst du zwar von manchen gerüffelt werden, dass du diesen Eintrag reinkopiert hat, aber meine persönliche Meinung zu diesem Thema spiegelt er wieder........Ethik in allen Formen, ein Gewissen, Anstand gegenüber allen Lebewesen, braucht eigentlich keine wie immer geartete Organisation. Und man sollte es so gut es geht, vorleben..... Mfg, helmar

21. Mai 2008, 10:09 ThomasSchmidt

Der Gott des Leidens?

Wirklich ein toller Artikel! Ist genau auf meiner Wellenlänge, der Mensch ist doch selbst für sein Tun verantwortlich, man kann doch nicht für alles die Schuld auf Gott schieben! -Falls es Gott überhaubt gibt, man stelle sich mal ein Bewusstsein vor, welches ein Universum mit einem derzeitigen, vermuteten Radius von gut und gerne 70 Milliarden (!) Lichtjahre, "überwacht"!! In solchen Dimensionen dauert die Existenz der Menschheit nicht einmal einen Wimpernschlag, dieses Gottwesen würde uns nicht einmal bemerken, weil die Informationen viel zu lange unterwegs sind!!! -Es sei denn, es gibt mehr als eine Gott, sozusagen Verwalter für bestimmte, "überschaubare" Abschnitte im Universum... Und der Vorstellung vieler Gläubiger, dass unsere Existenz auf dieser Welt nur der Leuterung dient, kann ich nicht wirklich viel abgewinnen! Wenn das Schule macht, würde wohl kaum noch jemand einer geregelten Arbeit nachgehen, sondern lieber möglichst früh das Zeitliche segnen, um endlich in die Ewigkeit einzugehen, wobei der menschliche Verstand diese sicher nicht länger als ein paar Jahrhunderte verkraften würde ... mfg Thomas

21. Mai 2008, 20:49 Almoehe

Der Gott des Leidens?

Hallo zusammen ! ....Passend zur gezwungenen Erntepause :-) oder besser gesagt Sensationsloch kommt wieder ein Glaubensthema. So gut so schön. Wie gehen wir mit Leid und Trostlosigkeit um? Ich würde die Frage eher neu definieren: „Wie gehen wir mit Glück und Unglück“ – das passt eher in unsere Leistungsgesellschaft die von Sünde und Schuld nicht mehr viel wissen will.... Die Heilige Schrift erläutert mal in Ihrem Schicksalsbericht folgendes:Ich werde dem Hohen Rat ausgeliefert, gefoltert und getötet..." Wir wissen, dass Petrus, der den Mund immer als erstes offen hatte, geradezu erbost reagierte: „Das wird nicht passieren, das soll Gott verhüten..." und man braucht gar nicht viel Fantasie, um den Nachsatz zwischen den Zeilen zu erspüren, der zwar nicht überliefert, aber ihm haargenau in den Mund passen würde: „...solange ich dein Bodyguard bin, wird dir kein Mensch ein Haar krümmen!" Wie ist das mit Unglück und Glück? War der Tod Jesu ein Unglück? War er für uns nicht ein Glück? Wir preisen dich, Herr Jesus Christus, denn durch deinen Tod hast du die Welt erlöst! Aus einem nicht christlichen Kulturkreis, nämlich aus China, kommt eine Geschichte über Glück und Unglück. Man erkennt, alle Kulturen und Völker kennen das wechselvolle Spiel von Glück und Unglück. Ein alter Bauer hatte für die Feldarbeit ein altes Pferd. Eines Tages scheute das Tier und entfloh in die Berge. Die Nachbarn bedauerten den Alten und riefen: „Ein Unglück, ein Unglück! Sein einziges Roß ist auf und davon." Aber der Bauer antwortete nur: „Glück? Unglück? Wer weiß das schon genau?" Eine Woche später kehrte das Pferd mit einer Herde Wildpferde aus den Bergen zurück. Diesmal riefen dieselben Nachbarn: „Was für Glück! Du bist ein Glückpilz!"Er antwortete: „Glück? Unglück? Wer weiß das?"Als der Sohn des Bauern versuchte, eines der Wildpferde zu zähmen, warf ihn das Tier ab, er fiel und brach sich den Knöchel. Jeder hielt das für ein großes Pech! Der Bauer aber antwortete wieder dasselbe. Ein paar Wochen später marschierte die Armee ins Dorf und zog jeden kriegstauglichen Mann ein. Als sie den Bauernsohn mit gebrochenem Bein auf der Pritsche liegen sahen, ließen sie ihn zurück.„Was für ein Glück hast Du! Alle unsere Söhne müssen ins Feld, du hast ihn bei Dir!" Und der Bauer sagte immer nur dasselbe.Dann kam der Krieg auch in jenes kleine Dorf. Die Reisfelder wurden verwüstet und Hunger brach aus. Im Haus des alten Bauern aßen drei: der Bauer, seine Frau und sein Sohn, der gerade in die Muskeln kam und kräftig Appetit hatte. Mitleidig schauten die Nachbarn durchs Fenster in die arme Stube des Bauern und jammerten: „ein Unglück, dass er drei ernähren muß!" So gab es noch viele Unglücke bei jenem Bauern, die sich nach einer Zeit in Glücke wandelten. Das letzte, was man in Erfahrung bringen konnte, war das große Feuer, das die Soldaten im Dorf legten. Der Bauer war mit seiner Frau gerade auf dem Reisfeld, als sie davon hörten. Ihr kranker Sohn lag daheim im Haus. Erschrocken rannten sie hinauf ins Dorf. Ihr Sohn lag mit Brandwunden, aber noch lebend im Keller, wohin er sich mühsam gerettet hatte. „Was für ein Unglück, was für ein Unglück! schrie die Frau! Wie habe ich das verdient?!" Aber ihr Mann antwortete: „Glück? Unglück? Wer weiß das?"Eine Krankenschwester kam vom anderen Dorf, seine Wunden zu pflegen. Und da jeder weiß, dass verbrannte Haut bedächtige und geduldige Pflege benötigt, darf es nicht verwundern, dass die beiden sich kennen lernten und - lieb gewannen. „Was für ein Glück, der Sohn des Bauern hat eine Frau gefunden mitten im Krieg!" tratschte die Nachbarin am Dorfbrunnen. Und alle im Dorf stimmten ein: „Was für ein Glück!"Der Bauer sagte: „die Liebe ist wahrlich ein Glück, aber wer weiß denn wirklich ob es ein Glück ist?" Für Taoisten und Konfuzianisten, für Hinduisten und Christen, für jeden religiösen Menschen gilt wahrscheinlich diese Weisheit: beides, Glück und Unglück, versuchen wir in der Kraft der jeweiligen Religion zu ertragen. Wenn du aber ein tapferer Christ bist, gibt es für dich über die Wechselfälle von glücklichen und unglücklichen Episoden hinaus eine Hoffnung: das Ende deiner Lebensgeschichte wird ein Glück sein, ein ewiges und reines Glück. Denn Anfang und Ende ist für uns Gott selbst.

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