Bitte um Mäßigung !

Bitte um Mäßigung !
Ich hab lang überlegt, ob ich diesen Beitrag überhaupt schreiben soll, nachdem die Wogen hier beim Thema Flüchtlinge regelmäßig hoch gehen. Allerdings tauchen in den Diskussionen immer wieder Vorurteile auf, die -wenn überhaupt- auf bloßem Hörensagen bzw. jedenfalls auf Halbwissen basieren und die ich nicht unwidersprochen lassen kann.
Ich kenne das Thema aus verschiedenen Perspektiven - einerseits 26 Jahre intensiver Beschäftigung mit Asyl- und Fremdenrecht, davon die letzten 21 Jahre hauptberuflich; andererseits als Rotkreuzler - wir beherbergen, versorgen und betreuen auf unserer Dienststelle in Korneuburg seit Juli 12 Asylsuchende und sind auch immer wieder im Sanitäts- und Versorgungsdienst in Großunterkünften (zB Quartier am Airport, 250 Leute) und an der Grenze eingesetzt.
Besonders beeindruckt haben mich die Dienste in Nickelsdorf, wo ich sowohl als Sanitäter im Feldlazarett beim Grenzübergang ("Flugdach") als auch in der Einsatzleitung bei der Nova Rock-Halle eingesetzt war und bin.
Ich habe noch nie derart geschundene Füße gesehen wie die, die wir im Feldlazarett zu versorgen hatten und haben; Blasen, Entzündungen, Zerrungen, Brüche, Schwellungen, Infektionen .. einfach unvorstellbar.
Die Nova Rock-Halle ist eine Rundbogenhalle mit 300 Schlafplätzen, wo Neuangekommene für eine Nacht bis zum Weitertransport untergebracht werden. Ich kenne solche Hallen von Schaffarmen, aber im Gegensatz dazu herrscht hier bei Nachtruhe trotz Vollbelags eine geradezu gespenstische Stille, weil die Menschen nach den erduldeten Strapazen einfach schlafen wie Steine.
Und da erzähl mir bitteschön jemand, daß das eh alles bloß gewaltbereite Spaßtouristen seien, die nix als Blödsinn im Kopf hätten und sich eh bloß wirtschaftlich verbessern möchten.
Ja, natürlich haben wir in Nickelsdorf ein Müllproblem. Das ist aber den besonderen Umständen geschuldet. Es werden bis zu 1000 Mahlzeiten pro Stunde ausgegeben, das geht nur in Einweggeschirr. Wir können die Leute in ihrem Zustand nicht einfach aus einer Wasserleitung trinken lassen, weil das letzte das sie und wir brauchen, Durchfallserkrankungen sind, also gibt es Wasser in Plastikflaschen, mit herstellerseitig garantierter niedriger Keimbelastung. Wir bekommen viele Lebensmittel-Großspenden, alles natürlich fünffach verpackt, aber dafür bedenkenlos genießbar. Die Menschen können ihre Kleidung tauschen, und die alten Kleidungsstücke bleiben natürlich da - sie reisen ja mit leichtem Gepäck und in den Bussen für den Weitertransport ist auch kein Platz für Übergepäck (wie zB auch Kinderwägen).
Im Grunde ist das ähnlich wie bei einer Sportveranstaltung, bloß mit dem Unterschied, daß ein Marathon schon nach 4 Stunden vorbei ist.
Ich habe in Nickelsdorf ausschließlich Menschen wahrgenommen, die dankbar für alles sind, was ihnen gegeben wird; und teils auch richtiggehend überrascht, daß man sie erstmals auf ihrer langen Reise willkommen heißt.
Etwas anders die Erfahrungen in den von uns betreuten Dauerquartieren. Hier stellt sich mit der Zeit ein gewisser "Lagerkoller" ein, oftmals wird über Kleinigkeiten gestritten (das sog. "Hyper-Arousal" ist allerdings auch ein bekanntes Symptom von post-traumatischer Belastungsstörung) und es ist gar nicht so einfach, Spendenausgaben, Vereinbarung von Arztterminen oder sonstige Hilfestellungen so zu organisieren, daß sich niemand übervorteilt fühlt.
Aber alles in allem sind das auch bloß Menschen wie Du und ich, man kann derlei soziale Interaktionen auch in "autochtonen" Warteschlangen regelmäßig beobachten.
Schwarze Schafe gibt es überall, aber ein schwarzes Schaf macht die Herde noch nichteinmal im Ansatz grau.
Gerade deshalb möchte ich aber die werten Schreiberlinge hier um etwas Mäßigung bitten.
Egal wie man zu dieser Thematik steht, positiv oder ablehnend, man kann glaub ich seinen Standpunkt auch so vertreten, daß damit niemand, egal ob nun Flüchtling oder hier anwesend, sinnbefreit verunglimpft wird.